„Menschen sind meine Erholungsoasen.“
Hallo Igor, schön dich zu hören. Provokante Frage zum Einstieg: Du hast schon alle 32 Beethoven-Sonaten gespielt. Reicht das nicht? Nun auch noch seine Sinfonien?
Ich spiele ja nicht gleich alle ... Ich fange jetzt langsam an, sie zu erkunden. Die Sinfonie Nr. 3 habe ich schon gespielt, Nr. 7 kommt jetzt ... Warum sollte es mir reichen? Ich habe noch viele Jahre vor mir, hoffe ich. Und gleichzeitig habe ich auch anderes Repertoire zu studieren. Aber nein: Das reicht natürlich nie!
Beethoven ist nie genug?
Das ist alles nur meine Meinung …
Liszt hat die Beethoven-Sinfonien ja eigentlich transkribiert, um sie den Leuten zugänglich zu machen, als es noch keine Aufnahmemöglichkeiten gab. Was macht heute den Reiz aus, so ein Orchesterwerk auf dem Klavier zu spielen?
Da gibt es sehr viel: Also erstens, Liszt hat sich da schon was bei gedacht. Diese Transkriptionen sind ja keine Studientranskriptionen, wie es sie häufig von sinfonischem Repertoire gibt – z. B. Bearbeitungen für Klavier zu vier Händen, damit man sich die Partitur einfach mal angucken konnte. Sondern das sind voll ausgewachsene konzertante Werke, die wirklich an der Spielbarkeitsgrenze liegen. Es sind Werke, geschrieben für die große Bühne von wahrscheinlich dem bedeutendsten Pianisten überhaupt. Es ist auch das Großformatige, das Orchestrale. Es ist die Art, wie Liszt das Orchester auf das Klavier übersetzt. Aber natürlich verändern sich die Werke. Ich habe nicht vor, das Orchester zu kopieren; kann ich gar nicht. Ein Orchester kann gewisse Dinge viel, viel schneller machen als ich. Andere Dinge kann ich in den Tempi anders gestalten. Es wird zu einem genuinen Klavierwerk. Und trotzdem haben wir die Sinfonie im Ohr. Also ist es beides. Und es ist eine ganz andere Sache als die Sonaten. Weil man merkt: Hier sind Werke, die nicht für das Klavier geschrieben sind. Und dann kam der größte Pianist aller Zeiten und hat sie für das Klavier geschrieben. Das ist enorm spannend und inspirierend. Eine wirklich große Freude.
Aber wahrscheinlich auch wahnsinnig anspruchsvoll, oder?
Die sind virtuos wie verrückt. Aber nie sinnlos, sondern immer sinnhaft. Es hat immer Bedeutung, wie Liszt diese enormen Schwierigkeiten auf das Klavier überträgt, hat immer den Zweck des musikalischen Inhalts.
Du spielst die Sinfonien bei uns in zwei verschiedenen Sälen: die Eroica in der Laeiszhalle, die siebte Sinfonie in der Elbphilharmonie. Hast du die bewusst gewählt?
Nein, das ist so gekommen, da gab es keine bewusste Entscheidung für das eine oder gegen das andere. Ich hätte auch das eine Programm dort und das andere Programm hier spielen können.
Du kennst die Säle beide sehr gut. Was zeichnet sie aus und was unterscheidet sie?
Wo soll ich anfangen? Die Geschwindigkeit der Elbphilharmonie ist irre. Das ist für mich etwas ganz Beglückendes. Der Ton ist leicht, schnell, flexibel. Ich kann mit diesem Saal im Grunde alles machen, was ich will. Ich spreche über Klavier solo! Ich mag die Nähe zum Publikum. Das ist ein Raum, der unterstützt, weil Menschen in diesem Raum eine sehr unterstützende Energie entstehen lassen. Ich habe die Elbphilharmonie geliebt vom ersten Tag! Und die Laeiszhalle ist umarmend, auf eine andere Art: Sie ist wärmer, gesetzter, sie ist vielleicht ein Stück weit reifer. Aber ich möchte nicht auf Kosten des einen auf das andere verzichten. Beide Räume sind ein großes Geschenk.
Umso schöner, dass du in beiden spielen kannst nächste Saison!
Richtig ;-)
Du kombinierst die Eroica mit den Brahms-Balladen und die siebte Sinfonie mit der Schumann-Fantasie. Warum so und nicht anders?
Das Eroica-Programm mit den Balladen ist ein sehr erzählerisches Programm. Die Eroica hat diesen ungeheuerlichen, sehr erzählmächtigen zweiten Satz. Er hat auch etwas Balladenhaftes. Da gibt es bestimmte Bezüge, aber ich bin da sehr aus dem Bauch heraus und emotional rangegangen. Ich spiele im Moment mehr und mehr Brahms. Gerade die späten Klavierstücke; jetzt kommen die frühen wie die Balladen in mein Repertoire. Ich wollte die einfach spielen. Es hat sich sehr, sehr gut angefühlt! Und die Verrücktheit, die Überemotionalität der Schumann-Fantasie, die dann Innigkeit findet, neben die Siebte von Beethoven zu stellen, die in der Überemotionalität im Grunde den Triumph findet – das hat sich auch gut angefühlt. Und so habe ich mich dann Stück für Stück vorgearbeitet bei den beiden Programmen
Danke, dass du dir bei deinem Wahnsinnspensum so viel Zeit nimmst, uns das zu erläutern. Du bist neben deinen Konzerten sozial so engagiert – wann machst du mal Pause und wie erholst du dich?
Ich erhole mich mit Menschen, mit Freunden. Menschen sind meine Erholungsoasen. Wenn man miteinander essen geht oder ich jemanden besuche. Aber natürlich werde auch ich irgendwann an einen Punkt kommen, wo ich sage: Jetzt geht es nicht mehr, jetzt muss ich mal raus. An dem Punkt bin ich noch nicht.
Das heißt Urlaub gibt es bei dir gar nicht?
Im klassischen Sinne nicht, aber ich spüre den Tag kommen …
Wie fühlt es sich eigentlich an, so berühmt zu sein? Wie schafft man es, nicht die Bodenhaftung zu verlieren?
Auch dabei helfen Menschen sehr! Ich neige auch nicht dazu, die Bodenhaftung zu verlieren, und habe Menschen um mich herum, die mich erden. Also, ich bin guter Dinge und sehe mich da nicht in Gefahr.
Wir machen uns da auch gar keine Sorgen und freuen uns auf dich im Februar!
Klavierwerke von Brahms und Beethoven
Klavierwerke von Schumann und Beethoven
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