Hintergründe

Mundart

Lucienne Renaudin Vary & Tim Allhoff

Lucienne Renaudin Vary @ Simon Fowler
© Simon Fowler
Digitales Programmheft

Lucienne Renaudin Vary & Tim Allhoff

Dienstag, 22. April 2025 | 19:30 | Elbphilharmonie, Kleiner Saal

Programm

Manuel de Falla (1876–1946)

 

I. El paño moruno

III. Asturiana

V. Nana

VI. Canción

VII. Polo

aus: Siete canciones populares españolas

 

Jean Françaix (1912–1997)

Sonatine

 

Frederic Mompou (1893–1987)

Damunt de tu només les flors

Bearbeitung: Tim Allhoff

 

Théo Charlier (1868–1944)

II. Du style

aus: 36 Études transcendantes

 

Johann Sebastian Bach (1685–1750)

II. Siciliano

aus: Sonate Es-Dur BWV 1031

Bearbeitung: Wilhelm Kempff

 

Fritz Kreisler (1875–1962)

Marche miniature viennoise

Bearbeitung: Cyrille Lehn

 

Jimmy Van Heusen (1913–1990)

I Thought About You

 

George Gershwin (1898–1937)

I Loves You, Porgy

aus: Porgy and Bess

 

The Beatles

Blackbird

Bearbeitung für Klavier: Tim Allhoff

 

Nat „King“ Cole (1919–1965)

Pick Yourself Up

Bearbeitung für Trompete und Klavier: Tim Allhoff

 

George Gershwin (1898–1937)

But Not for Me

 

Louis Yule Brown (1912–2007)

I’ve Got a World That Swings

 

ca. 90 Minuten ohne Pause

Besetzung

Lucienne Renaudin Vary Trompete

 

Tim Allhoff Klavier

Lucienne Renaudin Vary und Tim Allhoff
Lucienne Renaudin Vary & Tim Allhoff © Simon Fowler/Maximilian König

Kennen Sie das Konzept des Brotjobs? Viele Künstler:innen haben einen. Er sichert im besten Fall den Lebensunterhalt. Oder einen Teil davon. Macht er Spaß? Hoffentlich ja, vielleicht eher nein. Dank dieses Brotjobs kann man sich aber etwas leisten, das wirklich glücklich macht: künstlerisch sein, kreativ sein – ohne finanziellen Druck. Ganz so drastisch würde Lucienne Renaudin Vary wohl trotzdem nicht zwischen ihren beiden Jobs unterscheiden. 

Zweisprachig

Zwei Jobs? Ja, irgendwie schon, auch wenn die 1999 in der Nähe von Nantes geborene Musikerin in beiden Trompete spielt. Als Solistin mit großem Orchester hinter sich auf den Bühnen der vielen Konzerthäuser dieser Welt und als Teil von Bands, im besten Fall frei improvisierend und vor kleinem Publikum. Das eine bringt auf jeden Fall die höheren Gagen ein, das kann man sich denken. 

Das war, als ob ich zweisprachig aufwachsen würde.
Lucienne Renaudin Vary

Wie Lucienne Renaudin Vary zu ihren zwei Jobs steht, hat sie in einem Interview vor einigen Jahren sehr schön beschrieben: „Das war, als ob ich zweisprachig aufwachsen würde.“ Vielleicht eher mit zwei Dialekten bzw. Mundarten einer Sprache, oder? „Bach und Liszt haben ja noch wie selbstverständlich improvisiert, mittlerweile hat man das in der Klassik eher verlernt. Ich mag, dass die Anforderungen im Jazz ganz andere sind als die in der Klassik. Dort sucht man nach dem perfekten Klang und will bloß keinen falschen Ton spielen. Im Jazz gibt es das nicht, da wird es eher interessant, wenn der Ton ein bisschen knackt.“

Nur für Jungs?

Seit sie denken kann, gibt es in Lucienne Renaudin Varys Leben Musik. Und zwar alle Arten: Klassik, Jazz, Schlager bzw. Chansons. Das mit der Trompete hat sich so ergeben. Eigentlich wurde kleinen Mädchen eher davon abgeraten; man braucht viel Kraft und Energie, Trompete zu spielen ist ein anstrengendes Hobby. Damit könnten also vor allem kleine Jungs gut überschüssige Energie loswerden. Spielmannszug, Posaunenchor, freiwillige Feuerwehr. 

Wie gut, dass solche Ansichten inzwischen immer weniger verbreitet sind. Vielleicht gab es sie in Frankreich auch nie. Und doch wird häufig Renaudin Varys besonders warmer Ton hervorgehoben, das Weibliche an ihrem Spiel. Wie sie diese hörbare Wärme produziert, weiß sie selbst nicht; es ist einfach ihr „Ansatz“. So nennet man das, was Trompeter:innen mit Mund, Zähnen und Lippen herstellen müssen, um mit der Trompete Klänge zu erzeugen. 

Vom Geheimtipp zum Shootingstar

2014 hat Lucienne Renaudin Vary am Pariser Konservatorium begonnen, Trompete zu studieren. Zuerst im klassischen Fach, ein Jahr später auch im Jazz. Kurz darauf wurde sie schon zum Geheimtipp, dann zum Shootingstar. Sie wurde von den großen Orchestern eingeladen, spielte Hummel, Vivaldi und Haydn rauf und runter. 

Inzwischen ist mehr Raum für die andere Seite: Jazz. Lucienne Renaudin Vary hat sich erarbeitet, dass sie nun auch Alben in diesem Bereich veröffentlichen kann – oder weitestgehend in diesem Bereich. Da versammelt sich nämlich viel auf einer Platte oder an einem Konzertabend, das vor allem durch die Trompeterin selbst und ihr Spiel in eine sinnvolle Verbindung kommt. 

Ein perfektes Duo

Für so etwas braucht man natürlich die richtigen Menschen an der Seite. Tim Allhoff scheint so einer zu sein. Wie Lucienne Renaudin Vary hat er zuerst klassisches Klavier studiert, bevor er am Richard-Strauss-Konservatorium München ins Jazz-Fach wechselte. Er spricht also auch beide Dialekte. Eigentlich sogar noch mehr, als Filmmusikkomponist und Arrangeur für Popmusiker:innen. 

Nach seiner Vorstellung gibt es zwei Kategorien: gute und schlechte Musik. Und damit mein Tim Allhoff entweder Musik, die berührt, oder Musik, die kalt lässt. „Jeden berührt etwas ganz anderes. Natürlich kann man sagen, dass eine Beethovensonate vielleicht künstlerisch hochwertiger ist als ein Popsong. Aber im Endeffekt geht es darum, was die Musik mit demjenigen macht, der sie hört.“ Auf seinem letzten Album hat er alle seine Lieblingskompositionen von Bach versammelt und eingespielt, teils im Original, teils bearbeitet. Und jetzt arbeitet er mit Lucienne Renaudin Vary zusammen an ihrem neuen Album. Die meisten Stücke darauf sind von ihm arrangiert, bei einigen spielt er selbst Klavier. 

Dieser Konzertabend ist als Vorgeschmack zu verstehen auf das, was da kommt. Und er ist gleichzeitig der seltene und schöne Moment, wenn Brot- und Herzensjob sich vereinen.