Rakhi Singh bei ProArte
Rakhi Singh
Montag, 24. Juni 2024 | 19:30 | Elbphilharmonie, Kleiner SaalProgramm
Nicola Matteis d.J. (nach 1670–1737)
Alia fantasia
Anna Clyne (*1980)
October Rose
Michael Gordon (*1956)
Tinge
Alex Groves (*1991)
Alula
Stoyan Paurov (*1974)
Buchimish
Traditional
Scottish Reel
Traditional
Jefferson
Missy Mazzoli (*1980)
Vespers
Edmund Finnis (*1984)
Elsewhere
Julia Wolfe (*1958)
Lad (Arrangement: Rakhi Singh)
Besetzung
Rakhi Singh Violine
Suche nach dem „Sweet Spot“
In der Nähe des Elternhauses von Rakhi Singh in Wales findet man viele Steinbrüche, in denen Kalkstein abgebaut wurde. Diese riesigen Räume, die da in die Erde gehauen sind, faszinierten die Künstlerin schon früh in ihrem Leben. Sie kletterte (vermutlich verbotenerweise) darin herum, suchte nach dem akustischen „sweet spot“ im Geröll. Wenn sie ihn gefunden hatte, probierte sie ihre Stimme aus, die wie in einem Amphitheater verstärkt wurde und bis in den hinterletzten Winkel des Steinbruchs klang.
Später hat Rakhi Singh das natürlich auch mal mit ihrem Instrument, der Geige, ausprobiert. Und heute würde sich ein Traum erfüllen, könnte sie einmal mit einem walisischen Männerchor in einem Steinbruch zusammen musizieren. Die berühmten Gesangsensembles entstanden unter Tage in den riesigen walisischen Bergbauwerken und haben seit weit über 100 Jahren ihren festen Platz in der Kultur des Landes.
Ausbruch aus dem Elfenbeinturm
Ganz abwegig ist es nicht, dass Rakhi Singh wirklich eines Tages mit einer Gruppe singender Männer in einem Kalksandsteinbruch steht.
„In der klassischen Musik spricht man nicht oft über Erlebnisse. Man geht zu einem Konzert, um den Leuten beim Spielen zuzuhören. Aber ich betrachte das Ganze als Erlebnis. Mir ist außerdem wichtig, dass jede:r Zugang zu der Kunst hat, die ich schaffe.“
Rakhi Singhs Vater stammt aus Indien, ihre Mutter aus Wales. Sie wächst in einer Umgebung auf, in der Einflüsse aus anderen Ländern und Kulturen ganz normal sind. Während ihres Studiums am Royal Northern College of Music in Manchester probiert sie alles aus, was ihr über den Weg läuft, von barocker Musik hin zu zeitgenössischen Klängen. Aber sie bleibt im großen Kosmos der klassischen Musik, jenem akademisierten Elfenbeinturm, zu dem man gefühlt nur dann Zugang hat, wenn man Noten lesen und die Sonatenhauptsatzform im Schlaf aufsagen kann.
Daraus auszubrechen, ist für klassisch ausgebildete Musiker:innen gar nicht so leicht. Und auch Rakhi Singh hat ihre Zeit gebraucht. „Als ich 2022 mit der Jazzpianistin Hiromi zusammengearbeitet habe, war es eine große Herausforderung, Abend für Abend mit ihr auf der Bühne zu stehen und improvisieren zu müssen.“
Neue Herausforderungen
Müssen klingt nach Anstrengung – und das war es sicherlich auch –, aber Rakhi Singh freut sich gleichzeitig über alles, was sie für sich als Anregung mitnehmen kann. 2016 gründet die Künstlerin zusammen mit dem Australier Adam Szabo das Manchester Collective. Ein musikalischer Ort, an dem alles passieren kann. Und den Rakhi Singh in einer für sie neuen Rolle als Kuratorin mitgestaltet. „Erst durch die Arbeit mit dem Manchester Collective habe ich erkannt, dass Kuratieren eine weitere Ausdrucksmöglichkeit bietet, und dass es sich um eine sich ständig weiterentwickelte Praxis handelt.“
Und wenig später kam dann noch eine weitere Möglichkeit des Ausdrucks hinzu: Rakhi Singh veröffentlichte 2021 die erste EP mit eigenen Werken auf dem Label Bedroom Music. Im Oktober 2023 folgte dann mit dem begeistert rezensierten Purnima ihr erstes Album in voller Länge. „Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, die Musik anderer Leute zu spielen“, so Rakhi Singh, „und das hier ist ganz allein meine. Es geht auch darum, Selbstvertrauen zu gewinnen.“
Dabei sucht sie sich neben ihrem klassischen Instrument allerlei elektronische Hilfsmittelchen zusammen, die ihr ganz neue Klangwelten eröffnen. Und die bereist sie seitdem mit Begeisterung.
Was Rakhi Singh aber immer vermeiden möchte: ihr Publikum zu sehr in der Wahrnehmung zu beeinflussen. Sie erzählt immer nur in Andeutungen und vagen Sätzen etwas zu ihren Werken und zu ihrer Musik. Jede Person im Saal soll das Gehörte selbst erleben und in Beziehung setzen – zu einem Geschehnis, einem Gedanken, einem Gefühl.
Manchmal haut es einen aber auch einfach aus den Sitzen. Oder wie ging es Ihnen nach Lad, dem Werk von Julia Wolfe, das diese eigentlich für neun Dudelsäcke komponierte, und das an diesem Abend allein von Rakhi Singh und einem Oktavpedal aufgeführt wird?