Komponistinnen bei ProArte
Die komponierende Frau ist in der Klassik-Welt nach wie vor ein irgendwie exotisches Wesen. Kenner:innen sind möglicherweise noch die Namen Clara Schumann, Fanny Mendelssohn oder Alma Mahler geläufig – Ehefrauen und Schwestern ungleich berühmterer männlicher Komponisten. Und immer (zu Unrecht!) ein wenig unter dem Verdacht stehend, dass man ihre Werke eigentlich nur wegen ebendieser ungleich berühmteren Männer hin und wieder zu hören bekommt.
Die gute Nachricht ist, dass Komponistinnen mittlerweile mehr und mehr ins Rampenlicht rücken und sich selbst im traditionell eher konservativen Klassik-Betrieb herumspricht, dass – Überraschung! – das Geschlecht in keinerlei Zusammenhang zur schöpferischen Begabung steht.
Auch bei ProArte freuen wir uns sehr, in der Saison 2024/25 eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Komponistinnen auf dem Programm zu haben. Hier stellen wir sie Ihnen vor!
Königin der Kantate
Barbara Strozzi (1619–1677)„Barbara Strozzi gehört mit ihren immer neuen formalen Ideen zu den innovativsten Komponisten im Bereich der vokalen Kammermusik um die Mitte des 17. Jahrhunderts. Doch überrascht sie den modernen Hörer vielleicht noch mehr durch eine zuweilen fast überbordende Mannigfaltigkeit der Erfindung im Detail, eine höchst verfeinerte Raffinesse der affektgeladenen, sensiblen Sprachumsetzung und eine immer am Wortausdruck orientierte ungewöhnliche Ausdrucksintensität.“ So zu lesen in der „Musikwissenschaftsbibel“ MGG – ein umfängliches Nachschlagewerk, das allerdings nicht gerade bekannt dafür ist, auf seinen altehrwürdigen Seiten viele Komponistinnen zu beherbergen. Insofern darf man Barbara Strozzis Präsenz hier durchaus als Ritterschlag verstehen. Die für ihr Talent unter anderem von Claudio Monteverdi und Francesco Cavalli bewunderte Musikerin komponierte zahllose kammermusikalische Werke – zumeist für den eigenen Gebrauch, da es ihr nie gelang, sich eine Anstellung am Hof zu sichern. Dennoch wurden so gut wie alle ihrer Werke publiziert und konnten so die Zeit überdauern: ein Glück für uns!
Das Lied L’amante consolato ist ein absolutes Paradebeispiel für die Kunst Barbara Strozzis: Ein nach langem Schmachten endlich getrösteter liebender Mensch besingt in leidenschaftlichem Affekt sein Glück, das vergangene Leid – und die fast genießerisch zelebrierte Angst vor dem erneuten Sturz ins Unglück.
Il Pomo d’Oro
Vergangene Veranstaltung
Kinder und Karriere
Clara Schumann (1819–1896)Doppelbelastung durch Beruf und Familie? Clara Schumann kannte das. Als sie 1840 – nach langjährigen Auseinandersetzungen mit ihrem Vater – Robert Schumann heiratete, war sie längst eine international bekannte Klaviervirtuosin, die in einem Atemzug mit Größen wie Sigismund Thalberg oder Franz Liszt genannt wurde. Zu Beginn der Ehe fügte sie sich zwar dem Wunsch ihres Mannes, hauptsächlich Hausfrau und Mutter zu sein. Lange war sie damit jedoch nicht zufrieden; zudem wurde es bald auch finanziell notwendig, dass sie zum Einkommen beitrug. Während Robert also um Anerkennung als Komponist kämpfte, sicherte sie mit ihren Konzertreisen das Auskommen, verbreitete bei ihren Auftritten seine Werke, bekam Kinder und kümmerte sich um den Haushalt. Dass sie auch selbst komponierte, kann angesichts dessen eigentlich kaum verwundern: Eine Powerfrau, würde man heute sagen.
Die Drei Romanzen op. 22 schrieb Clara Schumann im Jahr 1853 für den Violinvirtuosen Joseph Joachim. Wiederholt führten sie und Joachim die Werke gemeinsam bei Konzerten auf. Und zeigten, dass Clara sich mit ihren Kompositionskünsten keineswegs verstecken muss: Unter anderem geriet König George V. über das Anhören der Werke „ganz in Extase“ – und noch 2013 bedauerte der britische Musikkritiker Stephen Pettitt angesichts der zauberhaften Werke, dass „Claras Komponistenkarriere der ihres Mannes untergeordnet wurde.“
Lambert Orkis
Vergangene Veranstaltung
Weltklasse
Gabriela Ortiz (*1964)„Gabriela ist eine der talentiertesten Komponistinnen der Welt; nicht nur in Mexiko, nicht nur auf unserem Kontinent – der Welt. Ihre Fähigkeit, Farben, Rhythmen und Harmonien zu erzeugen, die einen ganz unmittelbar ansprechen, ist etwas Schönes, etwas Einzigartiges.“ Das sagt einer, der es wissen muss: Stardirigent Gustavo Dudamel, den eine lange und erfolgreiche Zusammenarbeit mit Gabriela Ortiz verbindet. Die Mexikanerin wuchs mit der Folklore ihrer Heimat auf; später studierte sie in Mexiko-Stadt und London. In ihren Werken verbindet sie unbekümmert Tradition mit Avantgarde, „Hochkultur“ mit Volks- und Popmusik und prägte so einen Stil, in dem leichte Zugänglichkeit und künstlerische Tiefe Hand in Hand gehen. Ein Erfolgsrezept offensichtlich: Zwei Nominierungen für den Latin Grammy, renommierte Preise und zahlreiche Aufträge weltbekannter Orchester durfte die Komponistin in den letzten Jahren entgegennehmen.
Kauyumari entstand 2021 im Auftrag des Los Angeles Philharmonic und feiert die Wiederaufnahme des Konzertbetriebs nach der Pandemie. „Beim Komponieren habe ich wieder bemerkt, wie Musik die Macht hat, uns Zugang zum Immateriellen zu gewähren, unsere Wunden zu heilen und uns Welten zu öffnen, die man nur durch Klang ausdrücken kann“, erklärt Gabriela Ortiz. „Obwohl das Leben voll von Unterbrechungen ist, feiert Kauyumari den Umstand, dass jeder dieser Risse auch ein Neubeginn ist.“
Thierry Fischer | MILOŠ
Vergangene Veranstaltung
Keine Schubladen!
Tania León (*1943)Pulitzer-Preis (2021), Kennedy Center Honors für ihr Lebenswerk (2022), Michael Ludwig Nemmers Prize in Music Composition (2023) – die Reihe der Kompositionspreise, die Tania León im Laufe ihres Lebens verliehen wurden, ließe sich beinahe beliebig fortsetzen. In ihrer Wahlheimat, den USA, gehört die gebürtige Kubanerin längst zu den bekanntesten Gesichtern der zeitgenössischen Musik. Und auch darüber hinaus erfreut León sich als Komponistin, Dirigentin und Kompositionslehrerin internationaler Wertschätzung. Schubladendenken ist nicht ihr Fall: In ihrem Schaffen hört man Avantgarde-Klänge ebenso wie jazzige Harmonien, vertrackte Rhythmen ebenso wie bezaubernde Melodien.
In den Saisons 2023/24 und 2024/25 ist Tania León Composer in Residence des London Philharmonic Orchestra. Raíces, ihre erste Auftragskomposition in dieser Funktion, kam am 6. März 2024 in London zur Uraufführung. Der Titel bedeutet „Ursprünge“ oder „Wurzeln“ – die Komponistin reflektiert darin ihre spanisch-kubanisch-chinesisch-französische Herkunft in ihrer ureigenen musikalischen Sprache. Das Ergebnis: „Echos von Latin und Jazz […] deuten geheimnisvolle, lichtdurchflutete Ausblicke an und fesseln die Aufmerksamkeit bis zum Schluss“ (The Guardian).
Edward Gardner | Víkingur Ólafsson
Vergangene Veranstaltung
Do it Yourself!
Errollyn Wallen (*1958)Warum bitte schön haben wir den Namen Errollyn Wallen bisher noch nie gehört?! Immerhin gehört sie zu den 20 meistaufgeführten noch lebenden klassischen Komponist:innen überhaupt! In Belize geboren und in England aufgewachsen, studierte sie zunächst Tanz und spielte Keyboard in Bands, bevor sie begann, sich dem Komponieren zu widmen. Statt darauf zu warten, von der Musikindustrie „entdeckt“ zu werden, organisierte sie kurzerhand selbst Konzerte, auch mit ihren eigenen Werken. Ein Erfolgsrezept ganz offenbar – immerhin wurde Wallen für ihren Dienst an der Musik 2007 in den Order of the British Empire aufgenommen, 2020 in den Rang eines Commander (CBE) erhoben und am 24. August 2024 zum Master of the King’s Music ernannt. Sie lebt und arbeitet in einem Leuchtturm in Schottland.
Anlässlich der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Sir Neville Marriner erfüllt sich für Errollyn Wallen der lang gehegte Traum, ein Werk für die von ihr verehrte Academy of St Martin in the Fields zu komponieren: „PARADE ist ein kurzes festliches Werk, in dem ich – mit einem freundlichen Nicken in Richtung Klassik, Barock und Romantik – jede Stimmgruppe dieses großartigen Orchesters abwechselnd in den Mittelpunkt stelle. Mit PARADE feiere ich ganz persönlich dieses Orchester und die Liebe und Freude, die es in unsere Welt bringt.“
Academy of St Martin in the Fields | Beethoven-Zyklus I
Außergewöhnlich
Anna Clyne (*1980)„Furchtlos“, „umwerfend einfallsreich“, „eine Komponistin von außergewöhnlicher Begabung“: Unbestritten gehört Anna Clyne zu den wichtigsten Komponist:innen der Gegenwart. 1980 in London geboren, studierte sie in Edinburgh und New York. Regelmäßig erhält sie Kompositionsaufträge von bedeutenden Orchestern; ihre Werke werden in den großen Konzerthallen der Welt ebenso aufgeführt wie in alternativen Spielstätten. Häufig kollaboriert Clyne auch mit anderen Künstler:innen, um die Grenzen ihrer Kunst immer wieder zu überschreiten. Kooperationen mit Filmemachern und Choreografen gehören ebenso dazu wie von Bildender Kunst inspirierte Werke und die Entwicklung des „Augmented Orchestra“ in Zusammenarbeit mit dem Sounddesigner Jody Elff.
Anna Clynes 2020 uraufgeführtes Stride für Streichorchester ist inspiriert von Ludwig van Beethovens Klaviersonate op. 13 mit dem Spitznamen „Pathétique“. In drei Sätzen spielt die Komponistin auf ihre ganz eigene Weise mit musikalischen Elementen des weltbekannten Werks. „Ein wilder Ritt voll Humor und Virtuosität“. (Limelight Magazine).
Academy of St Martin in the Fields | Beethoven-Zyklus II
Eigenwillig
Ruth Gipps (1921–1999)Schon im Grundschulalter wusste Ruth Gipps genau, wer sie war: „Ich wusste natürlich die ganze Zeit, dass es mein Beruf war, Klavier zu spielen; das erste Konzert bestätigte das nur. Aber ich wusste auch ohne den geringsten Zweifel, obwohl ich noch nichts geschrieben hatte, dass ich Komponistin war. Nicht das ich Komponistin werden wollte – dass ich eine war.“ Und so kam es. Ihr erstes Werk komponierte Gipps im Alter von acht Jahren; ein Klavierstück, das Wettbewerbe gewann und sogar publiziert wurde. Das war 1929. Nach dem Studium wurde sie Pianistin und Orchesteroboistin, komponierte weiterhin und entdeckte ihre Leidenschaft fürs Dirigieren. Unter anderen war sie die erste Frau, die jemals in der Londonder Royal Festival Hall dirigierte. Und was? Natürlich Beethoven! Letztlich gründete sie selbst ein Orchester, mit dem sie ihre eigenen Werke sowie selten gespieltes Repertoire aufführte – ungerührt von musikalischen Moden und Klassik-Mainstream.
Das stimmungsvolle Klanggemälde Seascape schrieb Ruth Gipps 1958 für das von ihr gegründete Portia Ensemble. Möglicherweise inspiriert vom Meeresrauschen vor ihrem Hotelzimmer bei einem Aufenthalt in Kent, evoziert sie in dem für zehn Holzbläser konzipierten Werk die Schönheit und das Geheimnis des Meers.
Jan Lisiecki | Beethoven-Zyklus III
Kompromisslos
Galina Ustwolskaja (1919–2006)Galina Ustwolskaja liebte die Stille, die Einsamkeit. Lebte ganz in ihrer eigenen Welt. Und schöpfte aus dieser Welt all ihre Inspiration. Ihr künstlerischer Anspruch war absolut: Werke, die ihr nach einigen Jahren des Ruhenlassens nicht mehr gefielen, wurden verbrannt. Skizzen gibt es nicht: „Alles wird mit solcher Sorgfalt durchdacht, daß es nur noch aufgeschrieben zu werden braucht.“
1919 in Sankt Petersburg (Petrograd) geboren, erlebte Ustwolskaja alle Schrecken des Sowjetregimes hautnah mit. Ihr strikt individueller, von nichts und niemandem beeinflusster Stil brachte ihr einerseits die Bewunderung der Kollegen ein – Dmitri Schostakowitsch machte ihr sogar einen Heiratsantrag, den sie allerdings ablehnte – und wurde andererseits kritisiert, teils sogar verboten. Doch Galina Ustwolskaja ließ sich nicht beirren. Mit einer an Kargheit grenzenden Sparsamkeit der Mittel erreichen ihre oft ungewöhnlich besetzten Werke eine monumentale Wirkung. Diese zu erklären, widerstrebte ihr allerdings zutiefst: „Alle diejenigen, die meine Musik wirklich lieben, bitte ich, auf eine theoretische Analyse zu verzichten.“
1988 entstanden, wird die Sonate Nr. 6 wird oft in Zusammenhang mit den Umwälzungen in der Sowjetunion zur Zeit Gorbatschows gebracht. Auf die theoretische Analyse verzichten wir natürlich – hören Sie selbst:
Klavierwerke von Ravel, Ustwolskaja, Prokofjew u. a.
Ausverkauft
Gleichberechtigt
Francesca Caccini (1587–1640)Sie galt als beste Sängerin ihrer Zeit (Spitzname: „La cecchina“ – der Singvogel) und spielte mehrere Instrumente; Fürstenhöfe von Paris bis Rom konkurrierten um ihre Dienste und sie wurde schließlich (neben ihrem Kollegen Jacopo Peri) zur wichtigsten und bestbezahlten Musikerin des Florentiner Hofs. Und mehr noch: Möglicherweise war Francesca Caccini die erste Frau überhaupt, die eine Oper komponierte. La liberazione di Ruggiero dallʼisola dʼAlcina (Die Befreiung Ruggieros von der Insel der Alcina) glänzt durch hochdramatische Situationen, virtuose Gesangsnummern und abwechslungsreiche Tänze. Erzählt wird die Oper bei Caccini übrigens aus weiblicher Perspektive – und auch das Fragment einer satirischen Hirtendichtung aus ihrer Feder dreht die damals üblichen Geschlechterrollen um, indem es die Frau zur Handlungsträgerin macht. Neben ihrer musikalischen Gabe muss Francesca Caccini auch ein außergewöhnlicher Mensch gewesen sein: „Egal ob sie spielte, sang oder sich unterhielt, sie hatte einen so verblüffenden Effekt auf den Geist ihrer Zuhörer, dass die Begegnung sie tiefgreifend veränderte“, wusste ein Zeitgenosse zu berichten.
In La pastorella mia schwärmt ein junger Mann von seiner Liebsten. Gefühlvoll und mit einem Hauch von Satire in den überschwänglichen Koloraturen setzte Francecsa Caccini das kurze Gedicht hintersinnig in Töne.
lautten compagney BERLIN